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Kirmessen in Groß-Moers und Umgebung

von Dr. Wilfried Scholten

Der traditionelle Veranstaltungskalender


Ein Zitat von Hanns Dieter Hüsch besagt, dass in Moers eigentlich immer Kirmes war. Wahr daran ist, dass tatsächlich im Verlauf des Jahres in nahezu allen Ortsteilen von Moers und Umgebung auch zur Kaiserzeit Kirmesveranstaltungen stattfanden. Dabei sollte bedacht werden, dass die Bedeutung der Kirmes auch im Alltag der Arbeiterschaft gerade während der Industrialisierung zunahm. „In einer Zeit, in der der Arbeiteralltag durch überlange Arbeitszeiten ... gekennzeichnet war, wuchs die Attraktivität von Einrichtungen, die Vergnügen ... Geselligkeit ... und Muße anboten. (Kift 1992, S. 13)


Die Kirmes schaffte „eine Möglichkeit, der strengen industriellen Arbeitsdisziplin zu entfliehen“. Das Blaumachen wurde in Kauf genommen, „da die Industriearbeiterschaft praktisch noch keinen Urlaub kannte“. (Abrams 1992, S. 36, 39)


Der „Grafschafter“ schrieb zu diesem Thema:

Der ‚blaue Montag‘ ist ein kritischer Tag erster Ordnung in unserm Industriegebiet geworden, namentlich, seitdem die Sonntagsruhe immer mehr ausgedehnt wird, und der Sonntag einem großen Teil der Bevölkerung nicht als Erholungszeit, sondern als ein Tag rauschender Vergnügungen gilt. Aus Bochum wird über Erscheinungen berichtet, die der letzte ‚blaue Montag‘ im Gefolge hatte: An allen Ecken und Enden kam es zu Ruhestörungen auf der Straße; singende und lärmende Personen zogen daher und kümmerten sich nicht um Passanten, auch nicht um die Hüter der Ordnung, die Polizei. Im Gegenteil, man schien es darauf abzusehen, gerade diese fühlen zu lassen, daß ‚blauer Montag‘ sei ... an vielen Orten des Industriegebietes sieht es montags nicht anders aus; auch die Grafschaft bildet leider keine Ausnahme.


Im Gegensatz zur Kirmes nahmen dagegen erwartungsgemäß nur wenige Arbeiter an der städtischen Festkultur, etwa an den Schützenfesten der lokalen Oberschicht, aktiv teil. (Abrams 1992, S. 39)


Ein Artikel im „Grafschafter“ aus dem Jahr 1903, in dem in Moers Kirmes und Bürgerschützenfest zusammen gefeiert wurden, belegt das auf eindrucksvolle Weise. Nachdem der Autor seinen Lesern nachdrücklich versichert hatte, dass „der Kern der Bürgerschaft ... fest und treu zu dem altehrwürdigen Feste (steht)“, formulierte er mit folgenden Worten seine Hoffnung:

Möge sich das Fest als ein ächtes Bürgerund Volksfest gestalten, daß die zwischen den einzelnen Ständen sich immer noch ergebenden trennenden Schranken hinwegräumt und die gesamte Bürgerschaft in Eintracht und Freude zu froher Feier vereint ... Allen wohl und Niemand wehe, sei die Parole des Festes. (Dorf-Chronik und Grafschafter, 4.9.1903)


Im heutigen Moerser Stadtgebiet folgten im Laufe eines Jahres mehr als ein Dutzend Kirmesveranstaltungen aufeinander: Asberg, Scherpenberg, Hochstraß, Vinn, Hülsdonk, Holderberg,Vennikel, Kapellen, Fünderich, Meerbeck, Repelen, Moers-Stadt und Schwafheim.

Stellvertretend für alle Ortsteilkirmessen sollen die Asberger Pfingstkirmes und die Schwafheimer Herbstkirmes dokumentiert werden. (Dorf-Chronik und Grafschafter, 16.8.1907), Dorf-Chronik und Grafschafter, 29.5.1909  Gaststätte „Zur Quelle“ in Asberg, (Dorf-Chronik und Grafschafter, 15.9.1909)


Der Reigen der Kirmesveranstaltungen folgte in wilhelminischer Zeit im Süden der Grafschaft traditionellen Regeln.

1. Das Kirmesjahr begann mit der Pfingstkirmes in

Asberg, Hochstraß und Scherpenberg. Jeweils eine Woche später folgten Vinn, Hülsdonk und Repelen, im weiteren Umkreis Neukirchen, Kapellen und Vennikel.

2. Die Moerser Herbstkirmes am ersten Wochenende im September war anerkanntermaßen die bedeutendste Veranstaltung im weiten Umkreis.

3. Die Schwafheimer Kirmes begann 14 Tage später am 3. Wochenende im September.

4. Die Baerler Kirmes im Oktober war die letzte im Jahr.


Heute findet nur noch die Moerser und die Schwafheimer Herbstkirmes statt.

Zu jeder Ortsteilkirmes wurden nicht nur Buden und Karussells aufgestellt, seit 1902 bot auch der Kinematograph seine Vorstellungen an. Vor allem aber wurden Bälle ausgerichtet. Diese Tanzveranstaltungen waren offenbar die eigentliche Attraktion und damit in jeder Ortschaft unverzichtbar. Gastwirtschaften mit großen Sälen und Stellplätzen für Festzelte hatten die Nase vorn.


Restauration Waldlust in Moers-Schwafheim


Die Tanzvergnügungen in wilhelminischer Zeit riefen immer wieder die Obrigkeit auf den Plan. So mussten die Moerser Ratsherren gegenüber dem Landrat und dem Regierungspräsidenten auf Jahre im Voraus die Kirmestage festlegen, an denen Tanzveranstaltungen stattfinden sollten. Das führte ab 1904 zu der umstrittenen Beschränkung auf den Kirmessonntag und Kirmesmontag. Die gleichzeitige Erhöhung der Lustbarkeitssteuer sollte nach Auskunft der Behörde „lediglich bezwecken, die Auswüchse in den Vereinslustbarkeiten und solche Lustbarkeiten, die wegen ihres schädlichen Charakters besser unterbleiben, zu unterdrücken (z. B. Glücksspiele, mehrtägiges Preiskegeln um Geldgewinne und dergl.)“. (Dorf-Chronik und Grafschafter, 16.1.1904)


Selbstverständlich wurden solche Fragen auch in der Leserschaft des „Grafschafter“ erörtert. Als Beispiel kann ein Leserbrief dienen, der unter der Überschrift „Ein ernstes Wort an die Eltern“ erschienen ist. Der Leser nahm kein Blatt vor den Mund:

Die Königliche Regierung hat es in Anbetracht des Wohles von Kindern wie Eltern seit vielen Jahren schon strengstens untersagt, daß Mädchen unter 16 und Knaben unter 17 Jahren sich in Tanzlokalen aufhalten ... O, möchten alle Eltern in rechter Fürsorge für ihre Kinder sich statt als Schwächlinge zu erzeigen, wieder vor Gott ernstlich ihre Pflicht zu erfüllen suchen.


Wie traurig sieht‘s beispielsweise aus bei Ballfestlichkeiten. In großer Zahl werden da wohl nicht einmal der Schule entlassene Kinder geduldet, als gelte es etwas fürs Leben Notwendiges und Nützliches zu lernen ... (Dorf-Chronik und Grafschafter, 23.5.1905)