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Ein Schnapscasino in Scherpenberg

von Dr. Wilfried Scholten

Dass eine Schankerlaubnis im Kaiserreich nur unter strengsten Auflagen der Behörden genehmigt wurde, ist bekannt (Scholten 2013, 2017). Gesundheitspolitische, vor allem aber sicherheitspolitische Gründe, die aus obrigkeitsstaatlichem Denken resultierten, waren dafür maßgeblich. Auf Grund der wirtschaftlichen Erfolgsaussichten wuchs die Zahl der Antragsteller dennoch ständig, die meisten Anträge wurden jedoch abgelehnt. Von den 141 Anträgen auf eine Wirtschaftskonzession im Kreis Moers wurden 1899 nur 43 Anträge genehmigt.


Neben den Gast- und Schenkwirtschaften waren Trinkhallen und Schnapskasinos Orte, wo Arbeiter ihren Durst auf Alkohol stillen konnten. Im Adressbuch von Moers aus dem Jahr 1907 sind 12 Trinkhallen verzeichnet, vier davon in Hochstraß. Im selben Jahr moniert der „Grafschafter“, dass „fast jede Ecke an den Hauptstraßen in Moers ... heute von einer Trinkhalle besetzt ist. Der Durst muß in den letzten Jahren in der Bürgerschaft riesig gewachsen sein“ (31.5.1907).


Von Schnapskasinos im Moerser Raum war dagegen bislang nichts zu erfahren. Allerdings berichtete der stets gut informierte „Grafschafter“ aus der rechtsrheinischen Region:

Styrum: Die Schnapskasinos, die im vorigen Jahre in der Bürgermeisterei Styrum so sehr Verbreitung fanden, daß nicht weniger als 26 ihr Dasein fristeten, sind nunmehr sämtlich aufgelöst worden. Manchen arme Familie atmet dadurch erleichtert auf, da der Ernährer den größten Teil seines Lohnes oft in einem solchen Kasino vertrank“ (11.12.1894).

Nach Lynn Abrams (1992) gab es im Jahr 1894 im Raum um Dortmund, Oberhausen und Recklinghausen mehr als 100 Schnapskasinos mit 16.640 Stammkunden.


Die Schnapskasinos oder Gesellig keitsvereine waren geschlossene Gesellschaften, die Schnaps und Bier billig einkauften und in privat angemieteten Räumen jederzeit preiswert an ihre Mitglieder abgaben. Sie brauchten keine Gaststättenkonzession und konnten praktisch von jedermann betrieben werden. Meist befanden sie sich in der Nähe von Zechen und Hütten. Damit füllten sie für die Industriearbeiterschaft eine Lücke in der Versorgung mit Alkohol, da der Verkauf von Alkohol nach elf Uhr abends und vor acht Uhr morgens verboten war. Das deckte sich nicht unbedingt mit der arbeitsfreien Zeit von Berg- und Hüttenarbeitern, insbesondere von Schichtarbeitern. Nach der Arbeit ermöglichten sie ihnen unabhängig von Wirten und Polizeibehörden Geselligkeit und Erholung, und zwar unter Ihresgleichen.


Es liegt nahe, dass die Schnapskasinos von den Arbeitgebern, der Polizei und den lokalen Behörden im Verein mit der Presse bekämpft wurden.


Der „Grafschafter“ berichtete: Schnaps-Kasinos

Von Hilden hatten sich die Inhaber einer dortigen Gesellschaftswirtschaft, die beiden Brüder Z. und der Präsident der Gesellschaft wegen unbefugten Ausschanks von geistigen Getränken in Düsseldorf zu verantworten. Trotz der geladenen Schutzzeugen wurden die beiden Brüder zu je 65 Mark und der Präsident zu 5 Mark und in die sämtlichen Kosten nach Verhältnis der Strafen verurteilt. Letzteren brachte dieser Vorgeschmack eines Präsidenten derartiger Wirtschaften zur Einsicht und legte er sein Amt sofort nieder (21.12.1894).

Zeitungsanzeigen des Geselligkeitsvereins „Gesellschaft Erholung Scherpenberg“ aus dem Jahr 1894 waren erste Hinweise darauf, dass in dieser Zeit auch in Scherpenberg ein Schnapskasino existierte.


In den Akten des Stadtarchivs Moers konnte bisher jedoch nur ein einziges Aktenblatt gefunden werden, dass diese Annahme bestätigte (661-260, 5, S. 186). Es handelt sich um eine Stellungnahme des Moerser Bürgermeis- ters zu einer Beschwerde, die der Vorsitzende der Gesellschaft „Erholung“, Wilhelm Huppers zu Scherpenberg, am 9.4.1897 „wegen Aufhebung der Gesellschaft ‚Erholung‘ bzw. Nichterteilung der Conzession“ an den Regierungspräsidenten gerichtet hatte. Aus dem handschriftlichen Schreiben geht hervor, dass die Gesellschaft „Erholung“ in der Gemeinde Hochstraße seit Juli 1892 mit Genehmigung des Regierungspräsidenten bestand. Seit- dem wurden unbeschränkt Getränke ausgegeben, ohne dass die Art und Weise des Betriebs eine polizeiliche Kontrolle ermöglichte. „Die gesetzlichen Bestimmungen wegen der Polizeistunde“ konnten nicht angewandt werden, obwohl nach Überzeugung des Bürgermeisters „in dem Gesellschaftslokale bis spät in die Nacht Getränke verabfolgt wurden“.

Textauszug, 661-260,5; 9.4.1897


Als der Vorstand für dieses „sog. Schnapskasino“ jedoch ein Konzessionsgesuch einreichte, wurde der Antrag vom Kreisausschuss abgelehnt und mit der Aufforderung verbunden, den Betrieb zum 1. April einzustellen. Den Beobachtungen der Polizei nach wurden allerdings weiter Getränke ausgeschenkt, da nach Aussagen des vorstand noch ein großer Vorrat an Getränken bestand. Das Vereinsvermögen betrug insgesamt 1080 M., davon in Getränken etwa 900 M., in Gläsern und einem Kühlapparat, 100 M. Außerdem bestritt der Vereinsvorstand der Behörde das Recht, „die Gesellschaft, die einen Verein bilde“, aufzulösen.

Der Ausgang des Verfahrens ist in den Akten und in der Presse nicht dokumentiert. Leider fehlen auch Hinwei- se zur Genehmigung der Gesellschaft und zum Wortlaut ihrer Statuten. Einen Fingerzeig über die Örtlichkeit in Scherpenberg verdanken wir allerdings einem Schriftsatz des Rechtsanwalts Dr. jur. Josef Engels aus Ruhrort, der den Bergmann Heinrich Lohmann aus Scherpenberg in einem Rechtsstreit vertrat. Darin hieß es:

„es dürfte auch der Antragsteller (H. Lohmann) der bereits seit über 8 Jahren sich um die Schankwirtschaftskonzession bewirbt, den Vorzug vor anderen Bewerbern haben. Namentlich dürfte dieser Vorzug gegenüber dem Bergmann Heinrich van gen Hassend zu Scherpenberg bestehen, der erst seit einigen Jahren sich um eine Konzession bewirbt, und zwar in einem Haus, in welchem früher ein polizeilich auf- gehobenes, sogenanntes Schnapskasino bestanden hat“ (661-260,7,S.22f).


Heinrich van gen Hassend erhielt am 27.2.1904 die Erlaubnis, in seinem Neubau in Hochstraß Nr. 110 (Viktoriastr. 36) eine Wirtschaft mit 3 Gasträumen und 10 Schlafzimmern zu betreiben. 1907 war sie eine von zehn Gast- und Schankwirtschaften in Hochstraß (Adressbuch von Moers, 1907).

Im Stadtplan von 1909 ist an der neugestalteten Kreuzung Viktoriastr./ Scherpenberger Straße bereits das Eckgebäude verzeichnet, in dem heute die Gastwirtschaft „Dschungel-Club“, vormals „Gastwirtschaft zum Deutschen Haus“ untergebracht ist.


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Quellen und Literatur:

Abrams, Lynn: Zur Entwicklung einer kommerziellen Arbeiterkultur im Ruhrgebiet (1850-1914). In: Kirmes-Kneipe-Kino, hrsg. v. Dagmar Kift, Paderborn 1992, S. 33-59

Adressbuch für Moers Stadt, Moers 1907

Akten des Stadtarchivs Moers, 661-260,5,6 und 7; 662-260,7

Verschiedene Zeitungsartikel der Moerser Zeitung „Dorf-Chronik und Grafschafter“ bzw. der Zeitung „Grafschafter“

Scholten, Wilfried; Moers zu Kaisers Zeiten, Mo- ers 2013

Scholten, Wilfried: Auf Spurensuche in Moers, Moers 2017

Die Fotos 1 und 2 wurden freundlicherweise vom Grafschafter Museum in Moers zur Verfügung gestellt.